„Klientelpolitik an den Einwohnern vorbei“
Bad Lauterberg. Am Donnerstag (25.06.2020) hat der Stadtrat im nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung der Gesellschaft für Projektentwicklung und Management(GSP) aus Hameln mehrheitlich den Zuschlag für den Kauf des Lauterberger Rathaus-Grundstück erteilt. Das Konzept des Investors sieht unter anderem den Neubau eines riesigen Verbrauchermarktes (1.780m² Verkaufsfläche, Lager 252m²) sowie eines Cafés und einer Sparkassenfiliale im Erdgeschoss vor. Im 1. OG sollen Räumlichkeiten für Ärzte, Physiotherapie und im 2.OG Wohnungen entstehen. Für den gewaltigen Neubau wird das Sparkassengelände komplett mitgenutzt, das derzeitige Gebäude wird abgerissen. Laut der Vorplanung entsteht der Neubau direkt quer vom Haus des Gastes und dem Hotel am Kurpark bis zur Höhe des Hotels Riemann/Kriegerdenkmal im Kleinen Kurpark. Vorgesehen ist ferner, das denkmalgeschützte Rathaus zu einem 4-Sterne-Hotel umzubauen. Zwischen Rathaus, Kurhaus, Haus des Gastes sollen zudem rund 200 Parkplätze angelegt werden.
Seit mehr als fünf Jahren steht der Rathausverkauf im Raum
Bereits seit mehr als fünf Jahren wird das „Haus des Gastes“ zum Rathaus umgebaut. Dort soll die Verwaltung auf dem teuersten Grund und Boden der Stadt neue Räumlichkeiten bekommen. Seither steht auch der Verkauf des Rathauses auf dem Plan der Verwaltung. Aktuell wurde das Thema im vergangenen Jahr, als zunächst die Firma Rahlfs Immobilien aus Neustadt am Rübenberge ihre Pläne vorstellte, um auf dem heutigen öffentlichen Parkplatz einen rund 2.200 m² großen Edeka-Supermarkt mit etwa 1.600 m² Verkaufsfläche inklusive Bäcker und Café zu bauen. Während die Wählergruppe im Rat (WgiR) schon bei der Vorstellung des Projektes ihre Skepsis für ein derartiges Bauvorhaben darlegte, formierte sich auch sofort eine Interessengemeinschaft um Renate Dittmar und Anneli Hoffmann, die eine Unterschriftensammlung/Bürgerantrag gegen das Projekt initiierten. An nur fünf Vormittagen kamen so 1.166 Unterschriften (13,2 % der Wähler) gegen einen Verkauf von städtischem Parkraum u.a. des Kurhauses und des Haus des Gastes/Rathaus zusammen.
Nach Bekanntwerden der ersten Planungen der Firma Rahlfs kam weitere Bewegung in das Vorhaben. So legten in einer Bauausschusssitzung am 13. Januar dieses Jahres, sowohl die Kreiswohnbau OHA/GÖ, wie auch Firma GPS ihre Konzepte vor. Noch in der Sitzung gab es herbe Kritik von den möglichen Investoren, da jede Planung von einer anderen Grundstücksgröße ausging. So hatte die GSP sogar das komplette Grundstück der Sparkasse mit einbezogen. Lediglich dem Konzept der Kreiswohnbau, hier behindertengerechte Wohnungen verschiedener Größen zu errichten, ging eine Analyse der städtebaulichen Situation voraus. Sie stellte ein rundherum solides und passendes Konzept für dieses sensible Innenstadtgrundstück vor, bei dem die vorhandenen öffentlichen Parkplätze voll erhalten geblieben wären.
Klar wohin die Planungen gehen
Schon zu diesem Zeitpunkt wurde klar, dass hinter den Planungen der Firma GPS auch Investoren aus Bad Lauterberg stehen und dass das künftige Sterne-Hotel im Rathaus von einem Bad Lauterberger Einwohner/Hotelier in Wernigerode, betrieben werden soll. Da schon vor Beginn der Debatte alle Bad Lauterberger Ratsmitglieder vom Verein Handel und Gewerbe in ein Modehaus im Ort zur Einstimmung auf einen großen „Vollsortimenter“ als neues Zugpferd für die Innenstadt eingeladen wurden, zeigt eindeutig, wohin die Reise/Planung gehen sollte. Selbst das nachgebesserte Konzept des Investors Rahlfs, mit einem einstöckigen Verbrauchermarkt ebenfalls unter Einbeziehung des Sparkassengrundstücks hatte da letztendlich keine Chance mehr.
Wie stark einzelne Ratsmitglieder offensichtlich in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinflusst waren, zeigt die Aussage des Beigeordneten Reiner Eckstein(BI), der doch tatsächlich zum Besten gab, dass man mit dem geförderten Wohnprojekt der Kreiswohnbau nur „Asoziale“ in die Innenstadt hole. Sicherlich hat dieses Ratsmitglied sich noch nicht eines der in den letzten Jahren realisierten Wohnprojekte dieser kreiseigenen Gesellschaft angeschaut.
Vorteile eines neuen Einkaufszentrums nur für wenige Bewohner der Stadt
Für Bewohner der Oberen Hauptstraße, Sebastian-Kneipp-Promenade, Ahnstraße, usw. bietet tatsächlich ein Verbrauchermarkt in der Innenstadt Vorteile, da er fußläufig zu erreichen ist. Bewohner des Masttal, Dietrichstal und Odertal die zum Einkaufen ohnehin auf Fahrzeuge oder dem ÖPNV angewiesen sind ist der Vorteil nur gering, da rund 500 Meter weiter das Einkaufszentrum in der Lutter und auch Lidl zu erreichen ist. Mithin bringt ein Markt dieser Größenordnung nur wenige Vorteile für die Bevölkerung – gewaltig werden hingegen die Verkehrsprobleme in der Innenstadt sein. Auch im Bereich der Ahnstraße und Sebastian-Kneipp-Promenade wird es einen erheblichen Verkehrszuwachs geben. Nicht abzusehen sind Lärm-und Verkehrsprobleme durch nächtlichen Anlieferverkehr und täglich starken Kundenverkehr für die Hotels Am Kurpark, Riemann oder Mühl bzw. an den Verkehrsknoten Ritscherstraße/Postplatz/Lutherplatz. Sicherlich wird der neue REWE-Markt, wie auch derzeit schon, zumindest stundenweise auch an Sonntagen geöffnet haben.
Dass nun der Zuschlag für das Monsterprojekt ohne jegliches städteplanerisches Konzept und ohne weitere Erörterung einer abschließenden Planung mit den vielen besorgten Bürgern und betroffener Anlieger erfolgte, zeigt doch, dass es letztlich nur darum ging die Grundstücke möglichst teuer zu „verhökern“. Das gesamte Vorgehen und die stets auf das Notwendigste begrenzte Informationsweitergaben zeigen auch hier, dass die Stimme und Meinung der Bürger nicht zählt. Vielmehr beugt sich die Mehrheit des Stadtrates dem „Klientel“, dass sich aus dem Projekt Vorteile erhofft. Ein Gesamtkonzept für die städtische Entwicklung gibt es nicht. Es reicht aus, jedes Jahr etwas von dem teurem Tafelsilber zu „verhökern“, um sich so mit einem „ausgeglichenen Haushalt“ zu brüsten. Stadtwerke, Kindergarten, Grundschule, Schickertgelände sind Beispiele dafür. Doch allzu schnell zeigt sich, dass der Ausverkauf endlich ist und das Eigentum der Bürger nur für einen kurzfristigen Erfolg in der Haushaltspräsentation in private Hände geflossen ist. Die WgiR hat dem Vorhaben nicht zugestimmt, ihr wäre das Konzept der Kreiswohnbau lieber gewesen. Es hätte die Grundstücke aufgewertet, benötigten und seniorengerechten Wohnraum geschaffen, den städtischen Parkplatz in zentraler Lage als Einnahmequelle erhalten und sich optisch auch harmonisch in das „Kurviertel“ eingefügt. Und auch die Sanierung des denkmalgeschützten Rathauses hätte die Kreiswohnbau problemlos realisiert und mit ins Bild eingefügt.
Warten auf ordnungsgemäße Einwohnerversammlung
Übrigens warten nach wie vor die 1.166 Unterschriftengeber auf eine entsprechende Einwohnerversammlung. Stattgefunden hat bisher lediglich im Rahmen der Bauausschusssitzung am 13. Januar 2020 eine Informationsveranstaltung. Mit einer solchen hatte sich Frau Dittmar auf Vorschlag eines Ratsmitgliedes natürlich auch einverstanden erklärt, doch dass sie quasi damit gleichzeitig auf eine Einwohnerversammlung verzichten soll, war wohl niemanden bewusst. Wie groß das Interesse an der künftigen Innenstadtgestaltung ist, zeigte sich, dass mehr als 200 interessierte Bürger zu der Bauausschusssitzung gekommen waren. Wie Renate Dittmar dazu erläutert, wurde mit dieser Veranstaltung keinesfalls die Vorgabe aus der Hauptsatzung der Stadt Bad Lauterberg für die Durchführung einer Einwohnerversammlung außer Kraft gesetzt. Die dazu gegebenen Ausführungen, dass dies nur für Bauvorhaben der Stadt gelten würde, teilt die Initiative nicht. In der Vorschrift heißt es:
§ 9 Einwohnerversammlungen Bei Bedarf unterrichtet der Bürgermeister die Einwohnerinnen und Einwohner durch Einwohnerversammlungen für die ganze Stadt oder für Teile des Stadtgebietes. Zeit, Ort und Gegenstand der Einwohnerversammlungen sind gemäß § 8 mindestens 14 Tage vor der Veranstaltung öffentlich bekanntzumachen.
Bei Bedarf !! Also nicht nur bei Bauvorhaben, bei denen die Stadt selbst Bauherr ist, so wie von der Verwaltung ausgeführt!! Wie kann ein Bedarf denn noch deutlicher aufgezeigt werden, als durch einen Einwohnerantrag mit 1.166 gültigen Unterschriften? Doch anstatt die Bürger umfassend zu beteiligen, redet man sich lieber damit heraus, dass man die Pläne ja drei Tage (?) öffentlich ausgehängt habe. Drei Tage!?
Im § 8 Abs. 2 der Hauptsatzung steht dazu: Sind Pläne, Karten oder Zeichnungen Bestandteile von Rechtsvorschriften, so kann die Bekanntmachung dieser Teile dadurch ersetzt werden, dass sie in einem Dienstgebäude der Stadtverwaltung während der Dienststunden öffentlich ausgelegt werden. Auf die Auslegung wird unter Angabe des Ortes und der Dauer der Auslegung im Amtsblatt für den Landkreis Göttingen hingewiesen (Ersatzbekanntmachung). Die Dauer der Auslegung beträgt zwei Wochen, sofern nichts anderes vorgeschrieben ist.
Auch hier steht nichts davon, dass es sich ausschließlich um Baupläne und nur um solche handeln muss, bei denen die Stadt selbst Bauherr ist. Wo ein Wille zur Bürgerbeteiligung ist, da wäre also auch ein Weg.
Aber ganz offensichtlich gibt es keinen Willen, geht es nicht um die Interessen der Bürger, sondern es geht um das schnelle Geld!!